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Fachtag Pädos

Fachtag

Missbrauchtes Vertrauen

- sexueller Missbrauch durch Professionelle in Institutionen
Frankfurt, den 12. Oktober 2006

Wir müssen uns mit den TäterInnen beschäftigen, speziell mit denen, die sich Institutionen - nicht nur der Jugendhilfe - ausgesucht haben, um dort unter dem Deckmantel des Erziehers, des Lehrers, des Therapeuten, des Trainers etc. Kinder zu missbrauchen.
Diesem Thema widmete sich die AG-Kinderschutz unter dem Titel Missbrauchtes Vertrauen - sexueller Missbrauch durch Professionelle in Institutionen.

Sehr geehrte Kinderschützerinnen und Kinderschützer,

Jedem einzelnen von Ihnen gebührt meine volle Hochachtung alleine für die Tatsache, dass sie heute hier sind. Sie setzen sich als MitarbeiterInnen und Vorgesetzte aus Heimen, Schulen, Kitas, dem Jugend- und Sozialamt hier und jetzt der Arbeit an einem Thema aus, das zu den dunkleren unserer Gesellschaft gehört. Vor Jahren haben wir begriffen, dass sexueller Missbrauch in mehr als 80% durch TäterInnen aus dem familiären Nahraum geschieht. Damit gehören die Familie und ihr Umfeld zu den gefährlichsten Orten für ein Kind. Seit einiger Zeit nun wird beklemmend deutlich, dass auch in den Institutionen des Staates, der Kirche, des Sportes und der Jugendhilfe Gefahren für die Integrität unserer Kinder lauern. Wir sind nun hier zusammengekommen, weil wir gemerkt haben, dass viele von uns dies nicht aushalten konnten, und sich darum im Alltag folgerichtig so verhielten, als gäbe es das nicht! Wir haben uns weggeduckt. Vielleicht auch, weil wir nicht wussten, was wir tun könnten, hätten wir etwas bewusst wahrgenommen.

Sexueller Missbrauch ist vielleicht nicht das Schlimmste, was einem Kind passieren kann, sehr wohl aber das schlimmste, was KinderschützerInnen passieren kann. Vor allem zwei Ängste treiben uns um: etwas zu tun, was unterlassen werden muss und etwas zu versäumen, was getan werden muss. Hinzukommt, dass jeder Mensch, der mit sexualisierter Gewalt in Berührung kommt, in seiner Intimsphäre verletzt wird. Fachkräfte stehen beispielsweise vor der Frage, warum das vierjährige Mädchen Sperma aus dem behaarten Bauchnabel des Vaters schlecken muss. Niemand von uns möchte sich damit befassen – am allerwenigsten möchte der Täter, dass wir dieser Frage nachgehen. Wir wollen es nicht, er auch nicht und so befinden wir uns unversehens als KinderschützerInnen in einer Interessenübereinstimmung mit dem Täter.

Die Strategie des sexuellen Kindesmisshandlers ist ausgeklügelt und einzig auf den lang anhaltenden – nicht den schnellen - Erfolg gerichtet. Seine diesbezügliche Sorgfalt und Geduld ist für ihn einerseits Erfolgsgarantie und andererseits Schutz vor Entdeckung und Bestrafung. Er arrangiert aufs Genaueste alles zum Missbrauch Nötige, lange bevor der Missbrauch beginnt. Die einzelnen vorbereitenden Schritte sind noch nicht der Missbrauch selbst. Von dieser Art Skript können, nein müssen, die Profis lernen. Sie müssen in „Friedenszeiten“ Beziehungen zu den späteren KooperationspartnerInnen anknüpfen, sie und ihre Institutionen erkunden und sich mit ihnen vertraut machen.

Mein Arbeitsplatz ist das Jugendamt und dort die Fachstelle "KuK" = Kinderschutz und Koordination von Hilfen. Das "KuK"-Konzept funktioniert nach dem "Stärkenansatz" (Empowerment) , weil es den MenschenStärken dient, wenn man mit ihren Stärken arbeitet, anstatt sich auf ihre Schwächen und Mängel zu konzentrieren. Empowerment unterstellt, dass das, was an Defiziten wahrgenommen wird, das Ergebnis von Strukturen und mangelnden Ressourcen darstellt, in denen sich vorhandene Fähigkeiten nicht entfalten können. Wir werden heute gemeinsam – hoffentlich erfolgreich – darin sein, alle Ihre Kräfte und Fähigkeiten im Dienste des Kinderschutzes zu mobilisieren.

Kindertagesstätten, Schulen, Sportvereine, Institutionen der Jugendhilfe u. ä. sind geprägt von intensiven Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern. Dort ist auch das Risiko eines Vertrauensmissbrauchs besonders groß. Dies geht einher mit einem Mangel an Informationen über die subtilen Manipulationen und einen Machtmissbrauch, der auf allen Ebenen stattfindet.

In dieser Veranstaltung sollen u. a. folgende Fragestellungen behandelt werden:
  • Fördern bestimmte institutionelle Strukturen den Missbrauch von Kindern durch Professionelle?
  • Welche Strategien wenden sexuell ausbeutender MitarbeiterInnen an, um Kinder zu missbrauchen?
  • Welches Verhalten entwickeln sie, um diese Strategien vor ihren KollegInnen zu verbergen?
  • Welche Bedeutung haben klare Grenzen, präzise Arbeitsaufträge und Professionalität in der Beziehungsgestaltung zwischen Erwachsenen und Kindern für den Schutz dieser Kinder?
  • Wie steht es mit Komplizenschaft und scheinbar ahnungslosem Co-Missbrauchs-Verhalten?
  • Wie kann dieses Thema in der eigenen Institution bearbeitet werden?
  • Welches sind die für Pädosexuelle bequemen Einrichtungen?
  • Wie reagieren Einrichtungen, wenn ein derartiger Missbrauchsfall öffentlich wird?
  • Geht es dann z. B. eher darum den „guten Ruf“ der Einrichtung zu schützen?
  • Welche Schritte müssen unternommen werden, um die notwendigen Hilfe- und Schutzmaßnahmen für die betroffenen Kinder und Jugendlichen zu installieren?
  • Welche Mindestanforderungen, Qualitätssicherungsmaßnahmen sind notwendig, damit auf Mitarbeiter-, Leitungs- und Trägerebene Verantwortung für den Kinderschutz wahrgenommen werden kann?

Wir werden von Frau Dr. Claudia Bundschuh hauptsächlich zu der Thematik Strategien von TäterInnen Wichtiges und Interessantes hören.

Vorab von hier aus eine Klärung der Begriffe Pädophile, Pädosexuelle und Pädokriminelle:

Pädophilie bedeutet wörtlich übersetzt "Liebe zu Kindern". Pädophil zu sein, muss nicht Missbrauch an Kindern bedeuten, sondern es kann bei sexuellen Phantasien, beim sexuellen Begehren bleiben. Diese Personen können seit einiger Zeit z.B. in Berlin (Charité) therapeutische Hilfe erhalten, sofern sie bezüglich ihrer auf Kinder gerichteten sexuellen Impulse über ein Problembewusstsein verfügen und verhindern wollen, dass es zu sexuellen Übergriffen kommt.

Der Begriff pädosexuell ist der Tatsache geschuldet, dass es sich bei dem Phänomen nicht nur um eine besondere Zuneigung rein emotionaler Art handelt, sondern um sexuelle Anziehungskraft, die vorwiegend oder ausschließlich auf Kinder gerichtet ist und nicht nur vorübergehend, sondern überdauernd besteht. Dennoch kann es vorkommen, dass Pädosexuelle sexuelle Handlungen mit Erwachsenen praktizieren. Dies nach unseren Erfahrungen vornehmlich aus Anpassungs- und Verschleierungsgründen.

Pädokriminelle allerdings sind eben Kriminelle, die jenseits jeden Unrechtsbewusstseins Kindern Schaden dadurch zufügen, dass sie sie sexuell misshandeln. Wobei es bei der Gewalttat sexueller Missbrauch dem Missbrauchstäter keineswegs in erster Linie um das Ausleben sexueller Bedürfnisse geht. Sexualität ist das Instrument, das Vehikel, mit dem der Täter seine Überlegenheit und Mächtigkeit gegenüber dem Kind durchsetzt. Sexuelle Übergriffe wirken – auch wenn sie nicht gewaltförmig in Erscheinung treten – als Implantation von Gewalterfahrung in die Persönlichkeit und stellen einen identitätszerstörenden Angriff dar.

Je weniger sichere Orte es für Kinder gibt, umso mehr habe ich den Eindruck, dass Gesellschaft mit der Verhinderung dieses alltäglichen Verbrechens überfordert ist. Gelegentlich wirkt es so, als sei "sexuelle Ausbeutung" Symbol für Versagen und Schuld jedes einzelnen aber auch der staatlichen Gemeinschaft insgesamt in Bezug auf ihre Beziehung zu Kindern. Wo immer wir mit Kindern in Berührung kommen, werden wir unserer Verantwortung ihnen gegenüber nur unzureichend gerecht, verraten wir sie in ihrer Loyalität uns gegenüber. Wichtige Bezugspersonen lassen die Mädchen und Jungen mit ihren Abgrenzungsbedürfnissen ins Leere laufen, oder zwingen sie in parentale Beziehungen. Unnachgiebige Erziehung demütigt das Kind. Wertschätzende Zuwendung wird durch Bezugspersonen verweigert. So verkümmert das Selbst des Kindes und es kommt zum Zerfall freudvoller Selbstbehauptung.

Missbrauch hausgemacht? Ich meine Ja!

Aber heute sind wir hier und werden daran arbeiten, dass wir unsere Institutionen und die KollegInnen kritischer sehen, dass wir Indikatoren für sexualisierte Gewalt wahrnehmen und wissen was zu tun ist. Über letzteren Punkt werden wir viel von Herrn Bernd Boucher erfahren.

Gemeinsam werden wir zum Schluss dieses Tages erarbeitet haben, was für uns die wichtigsten Erkenntnisse und Wege sind, den Pädokriminellen von unseren Einrichtungen fernzuhalten.

Bevor ich zu einigen Erläuterungen bezüglich des Tagesablaufs komme, drängt es mich, dem Organisationsteam meinen allerherzlichsten Dank auszusprechen. Zu diesem Team gehören neben Mitgliedern der AG-Kinderschutz, VertreterInnen verschiedener Institutionen, KollegInnen des eigenen und anderer Ämter einige hochengagierte PraktikantInnen und ExpraktikantInnen. Ohne sie würde es diese Fachtagung nicht geben, und wenn Sie ihnen begegnen – erkenntlich am Namensschild mit Herz – lächeln Sie sie bitte an.